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Psychische Krankheiten: Schnelle und breitgefächerte Maßnahmen minimieren Folgen für Betroffene und Gesellschaft

 

(Den Haag/Berlin, 4. März 2015) - Um Menschen mit psychischen Problemen in einen Job zu vermitteln oder im Beruf zu halten, ist es wichtig, dass Krankenkassen und Arbeitsämter früher als bisher reagieren, relevante Akteure wie Lehrer, Ärzte oder Arbeitgeber einbeziehen und insgesamt stärker Hand in Hand arbeiten. Zu diesem Schluss kommt der aktuelle OECD-Bericht “Publikationen”. Auf Basis von neun Länderanalysen erläutert er, welche politischen Weichen gestellt werden müssen, damit die Kosten psychischer Krankheiten für Individuen, Arbeitgeber und die Gesellschaft möglichst gering gehalten werden.

Zwar ist das Thema im öffentlichen Diskurs heute verbreiteter als noch vor einigen Jahren, dennoch kämpfen Betroffene mit einem erheblichen Stigma. Die privaten Folgen psychischer Erkrankungen sind aber nicht nur wegen sozialer Ausgrenzung gravierend: Menschen mit leichten bis mittelstarken Störungen – etwa Angstzuständen oder Depressionen - verlieren doppelt so häufig ihren Job wie Gesunde. Bis zu 50 Prozent aller neuen Anträge auf Arbeitsunfähigkeit gehen inzwischen auf psychische Probleme zurück. Das belastet nicht nur die Patienten, deren Armutsrisiko dadurch steigt, es ist auch ein Problem für die Wirtschaft. Schätzungen zufolge kosten psychische Erkrankungen Europa jährlich etwa 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Einer der wichtigsten Faktoren im Kampf gegen psychische Krankheiten ist die Zeit: Je früher mit der Behandlung begonnen wird, desto besser. In der Praxis allerdings können in den untersuchten Ländern zwischen den ersten Anzeichen für mentale Störungen und Therapiebeginn zehn Jahre vergehen. Das ist beunruhigend, denn es trifft nach Aussage des Berichts vor allem junge Leute. Jede Maßnahme, die Schule oder Arbeitgeber einleiten, ist erfolgversprechender als zu warten, bis die Betroffenen die Schule abbrechen oder aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Zwar kann Stress in Beruf und Ausbildung psychische Probleme verstärken. Bleiben die Patienten jedoch in Arbeit oder Schule, so kann das mit der nötigen Unterstützung auch einen positiven Einfluss auf den Verlauf der Krankheit haben.

Investitionen in Schulprogramme für psychische Gesundheit und in entsprechend qualifizierte Fachkräfte sind nach Angaben des Berichts wirkungsvoll. Als positives Beispiel nennen die Autoren unter anderem das österreichische Jugendcoaching-Programm, das sich vor allem an Lernende der 9. Klasse richtet. In Absprache mit Eltern und Lehrern vereinbaren die Coaches mit ihren Schützlingen Ziele, deren Erreichung sie dann schriftlich dokumentieren.
 
Ein weiterer Faktor, der die Effizienz der Maßnahmen bei psychischen Problemen beeinflusst, ist die häufig nur ungenügende Abstimmung zwischen den Bedürfnissen der Erkrankten und der Hilfe, die sie erhalten. Noch immer werden politische Maßnahmen zu häufig in abgeschlossenen Einheiten definiert und umgesetzt, wahlweise von Gesundheits-, Beschäftigungs- oder Bildungsdiensten. Würde stattdessen ein verzahntes System geschaffen, könnten mit den gleichen Ressourcen schnellere und bessere Erfolge erzielt werden. Einige Länder haben zaghafte Schritte in diese Richtung unternommen, viele versäumen es aber bisher, die Wirkung ihrer Reformen zu dokumentieren und zu analysieren.

Einen erfolgversprechenden Ansatz sehen die Studienautoren etwa im Schweizer Modell der „Interinstitutionellen Zusammenarbeit“ (IIZ). Diese Kooperation zwischen verschiedenen Institutionen der Felder Beschäftigung, Versicherung und Gesundheit soll dazu dienen, komplexe Fälle schneller mit den für sie zuständigen Stellen in Kontakt zu bringen. Das Modell-Projekte krankt aber noch an der Umsetzung: Häufig dauert es zu lange, bis Betroffene an ein IIZ-Team verwiesen werden, und insgesamt sind die Fallzahlen zu klein, um spürbare Arbeitsmarkteffekte oder Kostenersparnisse hervorzurufen.

Richtlinien und Verordnungen müssen laut Bericht aber auch in den anderen betrachteten Ländern konsequenter umgesetzt werden. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist die Schaffung systematischer Monitoring-Instrumente und die Bereitschaft, unzureichende Umsetzungen zu sanktionieren.

 

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