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Marktverzerrend, umweltschädlich und zu kurzfristig gedacht – hoher Reformbedarf bei der weltweiten Agrarpolitik

 

(Berlin/Paris, 30. Juni 2020) – Die Agrarpolitik vieler Länder führt zu schädlichen Marktverzerrungen, geht auf Kosten der Umwelt und behindert Innovation. Zu diesem Ergebnis kommt die diesjährige Ausgabe der OECD-Studie zur internationalen Agrarpolitik.

 

Agricultural Policy Monitoring and Evaluation zufolge haben die 54 untersuchten Länder – darunter alle OECD-Länder, die EU-Mitglieder und zwölf wichtige Schwellenländer – zwischen 2017 und 2019 rund 536 Milliarden US-Dollar jährlich an direkter Unterstützung für Landwirte bereitgestellt. Etwa die Hälfte geht auf Maßnahmen zurück, mit denen Inlandspreise über dem internationalen Niveau gehalten wurden. Eine solche Politik schadet den Verbrauchern – insbesondere den ärmeren – und vergrößert das Einkommensgefälle zwischen großen und kleinen Landwirtschaftsbetrieben. Auch verringert sie die Wettbewerbsfähigkeit der Nahrungsmittelindustrie insgesamt. Sechs der untersuchten Länder besteuerten die Landwirte hingegen implizit mit 89 Milliarden US-Dollar pro Jahr, indem sie die Preise künstlich drückten. Diese Politik trug weiter zu Marktverzerrungen bei.

 

In die langfristige Leistungsfähigkeit der Branche investierten Regierungen vergleichsweise wenig: Über alle 54 Länder hinweg gingen nur 106 Milliarden US-Dollar jährlich in Forschung und Entwicklung, Infrastruktur, Biosicherheit und andere notwendige Dienstleistungen für den Sektor. Verbrauchersubventionen machten weitere 66 Milliarden US-Dollar pro Jahr aus. Somit belief sich die finanzielle Unterstützung für den Agrarsektor mit 536 Milliarden für Produzenten, 66 Milliarden für Verbraucher und 106 Milliarden für unterstützende Dienstleistungen auf insgesamt 708 Milliarden US-Dollar pro Jahr.

 

Obwohl die Produktivität in den letzten Jahrzehnten gestiegen ist und Initiativen der jüngeren Vergangenheit auf eine bessere Umweltbilanz zielen, geht es mit Reformen nur schleppend voran. Weder gibt es beim Niveau der Hilfsgelder große Veränderungen, noch gibt es wesentliche Fortschritte bei der Umstellung auf Instrumente, die Produktion und Handel weniger stark verzerren. Durchwachsen ist auch die Umweltbilanz. So ist beispielsweise der Ausstoß von Treibhausgasen im Agrarsektor der meisten Länder gestiegen.

 

Die Studie beschreibt darüber hinaus, welche Hilfsmaßnahmen Regierungen angesichts der COVID-19-Pandemie für Verbraucher, Landwirte und andere Akteure der Agrarbranche bereitgestellt haben und wie sie versuchten, Lieferketten aufrechtzuerhalten. Während sich viele Länder darauf konzentrierten, den Handel zu erleichtern und so Versorgungsketten zu sichern, haben einige Länder vorübergehend Handelsbeschränkungen verhängt, was sowohl kurz- wie auch längerfristig die Versorgung untergraben kann. Der Studie zufolge sollten die Regierungen künftig verstärkt in die langfristige Widerstandsfähigkeit des Nahrungsmittel- und Agrarsektors investieren.

 

„Mit Blick auf die Bruttoeinnahmen der Landwirtschaft sieht man, dass weltweit noch immer mehr als einer von neun Dollar aus öffentlichen Geldern stammt. In einigen Ländern sogar jeder zweite Dollar“, so Ken Ash, OECD-Direktor für Handel und Landwirtschaft. „Es ist notwendig, dass Regierungen in gut funktionierende Lebensmittelsysteme investieren. Allerdings sind die meisten derzeitigen Stützungsinstrumente wenig hilfreich oder gar schädlich. Durch COVID-19 ist der Haushalt vieler Regierungen sowieso stark belastet. Entsprechend ist jetzt die Zeit, marktverzerrende Stützungsinstrumente abzubauen und eine Neuausrichtung der verfügbaren Instrumente und Ressourcen einzuleiten – zum Nutzen der Landwirtschaft und der Gesellschaft insgesamt.“

 

Um den Agrarsektor produktiver, nachhaltiger und widerstandsfähiger zu machen, empfiehlt die Studie den Regierungen,

 

  • verzerrende politische Maßnahmen wie Preisstützen und Budgethilfen auslaufen zu lassen, die eng mit der landwirtschaftlichen Produktion und dem Einsatz von Betriebsmitteln verbunden sind;
  • vorhandene Mittel umzuverteilen und zentrale öffentliche Dienstleistungen zu stärken, die wichtig sind, um Produktivität, Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit der Landwirtschaft zu verbessern oder um gezielt Maßnahmen zu fördern, die beispielsweise für mehr Biodiversität sorgen;
  • ambitioniertere Umweltziele zu verfolgen – mithilfe von effizienteren, gezielteren und weniger marktverzerrenden politischen Instrumenten.

 

Die Studie enthält eine aktuelle Schätzung der Subventionen aller OECD-Länder (einschließlich des neuen Mitgliedslandes Kolumbien), der EU sowie von zwölf Schwellenländern (Argentinien, Brasilien, Volksrepublik China, Costa Rica, Indien, Indonesien, Kasachstan, Philippinen, Russland, Südafrika, Ukraine und Vietnam).

 

Am 16. Juni veröffentlichen OECD und FAO (Food and Agriculture Organization) die Ausgabe 2020-2029 ihres Landwirtschaftsausblicks. Dieser enthält eine umfassende Einschätzung der mittelfristigen Entwicklung auf den landwirtschaftlichen Rohstoffmärkten auf nationaler, regionaler und globaler Ebene sowie ein erstes Szenario der COVID-19-Auswirkungen. Davon ausgehend beschreibt der Bericht Maßnahmen, mit denen das weltweite Landwirtschafts- und Lebensmittelsystem produktiver, nachhaltiger und widerstandfähiger gestaltet werden kann.

 

Bei Fragen stehen wir gerne zur Verfügung. 

 

Pressekontakt:

OECD Berlin Centre

Nadja Nolting

Berlin.Centre@oecd.org

Tel: +49 (0)30  28 88 35 43

 

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