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Europa zahlt einen hohen Preis für chronische Krankheiten

 

(Paris/Berlin, 23. November 2016) - Bessere Politiken zur Gesundheitsvorsorge und eine effektivere Gesundheitsversorgung könnte hunderttausenden Menschen in Europa das Leben retten und gleichzeitig erhebliche Wohlstandsverluste vermeiden. Zu diesem Schluss kommt ein gemeinsamer Bericht der OECD und der EU-Kommission, der heute in Brüssel vorgestellt wurde.

Laut Gesundheit auf einen Blick: Europa 2016 sterben in der EU jährlich über 550.000 Menschen im Erwerbsalter vorzeitig an chronischen Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes oder Krebs. Neben der menschlichen Tragödie, die diese vermeidbaren Todesfälle bedeuten, entsteht auch ein wirtschaftlicher Schaden, der auf 115 Mrd. Euro oder 0,8 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung beziffert wird. Für Deutschland werden die Kosten auf 21 Mrd. Euro oder 0,7 Prozent des BIP geschätzt.

Dem Bericht zufolge könnten eine bessere und intensivere Prävention und eine effektivere Gesundheitsversorgung dazu beitragen, die Zahl dieser vorzeitigen Todesfälle zu reduzieren. In Deutschland kann das in 2015 verabschiedete Präventionsgesetz dabei helfen, gesundheitsbewusstes Verhalten in unterschiedlichen Lebensbereichen zu fördern und so chronischen Erkrankungen vorzubeugen.

“Viele Leben könnten gerettet werden, wäre der Behandlungsstandard in allen Ländern auf dem höchsten in der EU verfügbaren Niveau“, sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría. „Es muss mehr getan werden, um Ungleichheit bei Zugang und Qualität der Gesundheitsversorgung abzubauen. Gleichzeitig müssen die Gesundheitssysteme in der EU effizienter werden und ihre Ressourcen dort einsetzen, wo sie eine maximale Wirkung auf den Gesundheitsstatus der Bevölkerung entfalten. Dies schließt auch die Vorsorge mit ein.“ (Rede lesen)

„Gesundheit auf einen Blick Europa liefert den Mitgliedsstaaten wertvolle Informationen, um ihre Aktivitäten in der Gesundheitspolitik zu gestalten“, sagte Vytenis Andriukaitis, EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. „Der Bericht zeigt, dass jedes Jahr viele Menschen in der EU aufgrund von vermeidbaren Krankheiten sterben, die mit Risikofaktoren wie Rauchen oder Fettleibigkeit verbunden sind. Er hebt auch die Notwendigkeit hervor, Gesundheitsversorgung leichter zugänglich zu machen.“

Die Stärkung der Primärversorgung kann dabei helfen, diese Ziele zu erreichen. Der demografische Wandel mit dem einhergehenden wachsenden und sich wandelnden Behandlungsbedarf stellt dabei allerdings viele EU-Staaten inklusive Deutschland vor die Herausforderung, auch langfristig einen guten Zugang zu solch einer Versorgung vor allem auch in ländlichen und sozial benachteiligten Gegenden sicherzustellen.

Bei der Eindämmung von Risikofaktoren gab es in Deutschland und fast allen anderen EU-Staaten einige Erfolge: So ist der Alkoholkonsum bei erwachsenen Personen in Deutschland seit dem Jahr 2000 um 15 Prozent gesunken und beträgt gegenwärtig 10,9 Liter jährlich. Dieser Wert liegt leicht über dem EU-Durchschnitt von zehn Litern reinem Alkohol pro Jahr. Allerdings ist regelmäßiger exzessiver Alkoholkonsum in Deutschland weiter verbreitet als in den meisten anderen EU-Staaten. Ein Drittel aller Deutschen über 15 Jahren nimmt eigenen Angaben zufolge mindestens einmal monatlich größere Mengen Alkohol zu sich. Dies liegt weit über dem EU-Durchschnitt (22 Prozent) und Ländern wie Großbritannien (22 Prozent) oder Österreich (19 Prozent).

Auch der Tabakkonsum ist auf dem Rückzug. So sank der Anteil regelmäßiger Raucher seit 2003 von 24 auf 21 Prozent und liegt damit genau im EU-Durchschnitt. In Schweden und Finnland rauchen allerdings nur 12 bzw. 15 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal am Tag.

Schätzung der Gesamtkosten psychischer Erkrankungen anteilig am BIP (%)Der Bericht zeigt außerdem, dass Deutschland mit 11,1 Prozent des BIP zusammen mit Schweden innerhalb der EU-Staaten am meisten für Gesundheit ausgibt. Im EU-Durchschnitt lag der Anteil im Jahr 2015 bei 9,9 Prozent der Wirtschaftsleistung. Innerhalb Europas waren nur in der Schweiz die Gesundheitsaufwendungen höher (11,5 Prozent). Inflationsbereinigt sind die Ausgaben pro Kopf in Deutschland zwischen 2009 und 2015 um 2 Prozent jährlich gestiegen und folgten damit in etwa der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung. In den meisten anderen EU-Staaten hat sich das Wachstum der Gesundheitsausgaben merklich abgeschwächt: Im Durchschnitt wuchsen sie im gleichen Zeitraum nur um 0,7 Prozent pro Jahr.

Die hohen Ausgaben in Deutschland spiegeln sich in einer hohen Verfügbarkeit von Gesundheitspersonal und medizinischer Infrastruktur als auch in einer hohen Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen durch die Bevölkerung:

  • Es gibt in Deutschland sowohl mehr Ärztinnen und Ärzte (4,1 je 1.000 Einwohner) als auch mehr Krankenpflegepersonal (13,1 je 1.000 Einwohner) als im EU-Durchschnitt (3,5, respektive 8,4). Dies trägt zum guten Zugang der Bevölkerung zu Gesundheitsleistungen und einem vergleichsweise geringen ungedeckten medizinischen Bedarf bei. So haben in Deutschland im Jahr 2014 nur 1,6 Prozent der Bevölkerung aus finanziellen, räumlichen oder zeitlichen Gründen oder aufgrund zu langer Wartezeiten, auf eine medizinische Behandlung verzichtet. Im EU-Durchschnitt liegt dieser Wert mehr als doppelt so hoch.
  • Deutschland hat relativ zur Bevölkerung die meisten Krankenhausbetten in der EU (8,2 je 100.000 Einwohner gegenüber 5,2 im EU-Durchschnitt) und mehr als doppelt so viele Magnet-Resonanz-Geräte (30,5 je 1 Millionen Einwohner) als die EU-Länder im Schnitt.
  • Es gibt in Deutschland vergleichsweise viele Krankenhausbehandlungen und eine hohe Anzahl chirurgischer Eingriffe. Teilweise kann dies auf demografische Faktoren zurückgeführt werden, aber Unterschiede in Behandlungspraktiken und -leitlinien spielen ebenfalls eine Rolle. So werden in Deutschland beispielsweise mit Abstand die meisten Erweiterungen der Herzkranzgefäße (453 je 100.000 Einwohner) durchgeführt. Diese Zahl liegt 40 Prozent höher als in Österreich, dem Land mit der zweithöchsten Quote in Europa. Allerdings gibt es in Deutschland auch beträchtliche regionale Unterschiede in den Operationsraten: In den Regionen mit den meisten Eingriffen werden, bezogen auf die Bevölkerung, dreimal so viele Herz-Bypass-Operationen und Gefäßeingriffe (Angioplastien) durchgeführt wie in den Regionen mit der geringsten Aktivität.

 

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